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Partnerschaft

Partnerschaft in der Krise?

In Folge einer Hirnschädigung bleiben häufig körperliche und/ oder kognitive Einschränkungen zurück. Diese sind unterschiedlich gravierend und belastend für den Betroffenen und sein Umfeld. Nicht umsonst wird ganz treffend von der „head-injured family“ (Brooks, 1991) gesprochen. Der oder die Betroffene muss sich an eine völlig neue Lebenssituation als Mensch mit Behinderung anpassen. Auch die Familie muss lernen mit den Veränderungen klar zu kommen. Besonders problematisch ist es, wenn sich Verhalten und Wesen merklich verändert haben. Als besonders belastend werden emotionale Störungen empfunden, wie z.B. Persönlichkeitsveränderungen, Störungen der Verhaltens- und Impulskontrolle, Verminderung des Antriebs, der Empathie, der emotionalen Schwingungsfähigkeit sowie ein fehlendes Störungsbewusstsein.
Im Gegensatz zu Menschen, die bereits mit einer Behinderung geboren wurden oder damit seit früher Kindheit leben gelernt haben, müssen neu betroffene Erwachsene versuchen, sich eine neue Identität zu erarbeiten und das Selbstbild zu korrigieren. Dies ist ein schwerer und oft langwieriger Prozess, der oft nicht so einfach gelingt.
Paare werden durch solch ein gravierendes Ereignis, wie das einer schweren Erkrankung mit bleibender Behinderung, in jeder Hinsicht stark belastet. Die Folgen betreffen schließlich nahezu alle Lebensbereiche. Das Leben scheint plötzlich eine unüberschaubare Großbaustelle zu sein.
Das Beziehungssystem des Paares ist unter Umständen aus dem Gleichgewicht gebracht und muss neu justiert werden. Neben der Identitätsarbeit, ist es für beide sinnvoll, möglichst aus der jeweiligen Opferrolle herauszukommen und den eigenen Lebensentwurf an die neue Situation anzupassen. Nicht immer gelingt das, z.B. weil die Beziehung bereits vorher schon als nicht stabil empfunden wurde oder keine ausreichenden Problemlösungsstrategien vorhanden sind. Unter Umständen kann es sinnvoll sein, einen Profi in Form einer Paarberatung, -therapie oder Mediation hinzuzuziehen.
Zu den oben genannten möglichen kognitiven Veränderungen und einer bleibenden Körperbehinderung kommen häufig noch weitere Belastungen auf die Paarbeziehung hinzu: Verlust der Autonomie bezüglich der eigenen Lebensgestaltung, finanzielle Einbußen aufgrund einer Erwerbsminderung und ggf. Reduzierung/Aufgabe des Berufes der pflegenden PartnerInnen sowie das Nachlassen sozialer Kontakte und Unterstützung. Als wäre dies nicht genug, sind immer wieder kraftraubende Kämpfe mit Kostenträgern auszufechten.
Wer in dieser Situation über ein funktionierendes, unterstützendes soziales Netzwerk verfügt, ist auf Dauer in einer besseren Position. Dazu gehört auch eine tragfähige Partnerschaft. Beides ist nicht selbstverständlich.

Entlassung nach Hause

Vor der Entlassung aus der Rehaklinik wird geprüft, ob und inwieweit der oder die Betroffene zu Hause betreut und gepflegt werden kann und wie umfangreich die Hilfen sein müssen. Bei einer Entscheidung zur Rückkehr in die Häuslichkeit muss bedacht werden, wie viel der/die PartnerIn alleine übernehmen kann und welche zusätzliche Unterstützung durch Angebote der Eingliederungshilfe oder Pflege benötigt wird. In diesem Zusammenhang ist allerdings auch zu überlegen, wie viele fremde Menschen man in seiner Privatsphäre ertragen kann oder will.
Durch die schlechte Personalsituation im ambulanten Bereich und die zum Teil langen Bearbeitungszeiten der Kostenträger, wird die Etablierung der häuslichen Versorgung zu einem Geduldsspiel. Falls auch noch eine barrierefreie Wohnung gesucht werden muss, wird es richtig schwer.
Wie die Lebenssituation in der häuslichen Versorgung gerade für junge Paare im erwerbsfähigen Alter aussieht, beschreibt Bianca Bender in ihrem lesenswerten Ratgeber-Portal zur Angehörigenpflege „Komm klar“.
Im BARMER PFLEGEREPORT von 2018 wurde die Gesundheit pflegender Angehöriger unter die Lupe genommen.

Behinderung stürzt Paare oft in die Armut

Schlussendlich stellt sich dann die Frage nach der Finanzierung der neuen Lebenssituation und den finanziellen Folgen für die Zukunft. Es kommen also zur ohnehin schon schwierigen Lebenssituation auch noch finanzielle Sorgen hinzu: teurere Wohnung, höhere Lebenskosten, Wegfall von Einkommen durch Reduzierung oder Aufgabe der Berufstätigkeit, Erwerbsminderungsrente, ABürgergeldgeld etc...
Durch die Einführung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) gibt es manche Verbesserungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf und deren PartnerInnen. Seit der schrittweisen Umsetzung des BTHG ab 2017 gab es auch einige Änderungen bezüglich der Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei Betroffenen und deren Angehörigen. Bisher waren die Leistungen der Eingliederungshilfe vom Einsatz des Einkommens und Vermögens des Paares abhängig. Die Einkommens- und Vermögensgrenzen lagen so niedrig, dass es nicht möglich war, etwas anzusparen. Verliebte man sich in einen Menschen mit Unterstützungsbedarf, tat man in finanzieller Hinsicht gut daran, besser nicht zusammenzuziehen oder gar eine Familie zu gründen.
Seit 01.01.2020 werden die Leistungen der Eingliederungshilfe nicht mehr der Sozialhilfe (SGB XII), sondern dem Sozialgesetzbuch IX zugeordnet. PartnerInnen-Einkommen und -vermögen bleiben seitdem völlig unberücksichtigt. Dies gilt auch dann, wenn zusätzlich die Leistung der „Hilfe zur Pflege“ https://www.betanet.de/hilfe-zur-pflege.html benötigt wird. Lesen Sie näheres z.B. unter bei betanet oder NITSA e.V..

Plötzlich Sozilhilfeempfänger*In

Wenn das Einkommen so niedrig ist, dass ergänzend staatliche finanzielle Unterstützung notwendig ist, bleibt für die Heranziehung von Einkommen und Vermögen des Paares alles beim Alten. Gleiches gilt, wenn nur ein Anspruch auf Pflegeleistungen besteht. Existenzsichernde Leistungen, wie die Grundsicherung sowie auch die Hilfe zur Pflege sind nämlich auch weiterhin Sozialhilfeleistungen (SGB XII).
Einen Vergleich der verschiedenen Anrechnungen finden Sie hier.

Ein ausschließlicher Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege besteht dann, wenn es vorrangig um Hilfen und Pflege im häuslichen Bereich geht (siehe § 36 Abs. 2 Satz 3 SGB XI und § 64b Abs. 2 SGB XII) und Teilhabeziele nicht (mehr) erreicht werden können (vgl. § 103 SGB IX Satz 2). Oder wenn aus Unwissenheit kein Antrag auf Eingliederungshilfe gestellt wird. Zu den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Eingliederungshilfe lesen Sie bitte z.B. hier bei betanet nach
Werden also existenzsichernde Leistungen der Sozialhilfe oder ausschließlich Hilfe zur Pflege bezogen, muss das Paar seine finanziellen Reserven bis auf einen Schonbetrag von 10.000 € pro Kopf (minderjährige Kinder 500 €) einsetzen. Dies ist jedes Jahr aufs Neue durch die Vorlage der Kontoauszüge nachzuweisen. Ob man verheiratet ist oder nicht, spielt keine Rolle.
Das Schonvermögen in der Hilfe zur Pflege ist seit 2017 auf zusätzlich 25.000€ erhöht worden, aber nur wenn das Vermögen aus eigener Erwerbstätigkeit – Achtung: NICHT aus der Erwerbsminderungsrente - während der Zeit des Leistungsbezugs anspart wird. Immerhin ist es so, dass ab Pflegegrad 4 und bei Blinden, vom Einkommen nur maximal 40 Prozent der individuellen Einkommensgrenze eingesetzt werden muss. Damit ist, je nach Einkommen, zumindest für den alltäglichen Lebensunterhalt mehr oder weniger ausreichend gesorgt. Weitere Informationen finden Sie z.B. hier bei betanet.
Der Deal bei der Partnerpflege heißt „Entlastung gegen Vermögen“. Das ist gerade bei jungen Paaren im erwerbsfähigen Alter bitter. Zumal hier die Dauer der Pflege auch über Jahrzehnte gehen kann. Wer weiß denn in der heutigen Zeit z.B. mit Anfang 30, wie lange eine Beziehung hält?
Klar ist, die meisten pflegenden Angehörigen und somit auch die pflegenden PartnerInnen sind von Altersarmut bedroht. Dies hat unter andrem ein Gutachten des SoVD aus dem Jahr 2019 gezeigt.

Text © 2020, aktualisiert 2023 - Sabine Schleppy, Dipl.-Pädagogin