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Musiktherapie

...oder "was singen Sie denn Schönes?"

In der Neurologischen Rehabilitation von Menschen mit erworbenen Hirnschäden ist Musiktherapie leider immer noch sehr selten anzutreffen. Dabei lässt sich Musik als hochwirksames therapeutisches Medium effektiv einsetzen. Je nach Rehabilitationsphase ergeben sich unterschiedliche Schwerpunkte in Zielsetzung und Methodik der musiktherapeutischen Behandlung.

In der Frührehabilitation setzt man Musiktherapie bei Menschen im Wachkoma und in den Remissionsphasen zur nonverbalen Kontaktaufnahme ein.

Mit Hilfe von rezeptiven (nicht passiven!) Musikangeboten versucht man, den Patienten/ die Patientin auf einer basalen Ebene zu erreichen. Zum Beispiel durch Summen / Singen im Atemrhythmus, durch das Angebot verschiedener Klänge, aber auch durch das (dosierte) Vorspielen von Lieblingsmusik des Patienten / der Patientin.

Mit Hilfe der rezeptiven Musiktherapie wird versucht, Entspannung und Angstabbau zu ermöglichen. Darüber hinaus werden mit musiktherapeutischen Angeboten die Wachheit, Aufmerksamkeit und Konzentration sowie die Wahrnehmung und Orientierung gefördert. Außerdem dient der therapeutische Einsatz von Musik einem frühen Dialogaufbau (Kommunikation auf stimmlicher und/ oder instrumentaler Ebene) und der Stimm-, Laut- und Sprechanbahnung.

Im Verlauf der Therapie fließen auf diese Weise immer mehr Anteile aktiver Musiktherapie ein. Mit Hilfe des Einsatzes verschiedener Instrumente, die einfach zu spielen sind, bietet man dem Patienten / der Patientin die Möglichkeit, sich emotional und kreativ auszudrücken, durch interaktives musikalisches Handeln soziale und kommunikative Fähigkeiten wiederzuerlangen und die Grob- und Feinmotorik zu verbessern.

mit freundl. Genehmigung © www.maret-jochheim.de
mit freundl. Genehmigung © www.maret-jochheim.de

Die Musikinstrumente geben dem Spieler / der Spielerin gerade in Bezug auf die Koordination z.B. der oberen Extremitäten ein effektives Feedback über die Qualität der Bewegung. Wird zum Beispiel sehr heftig auf eine Trommel geschlagen, kann man einen sehr lauten Ton hören. Gleichzeitig spürt man mit der Spielhand das Fell der Trommel, vielleicht schmerzt sie sogar etwas. Wird andererseits die Bewegung sehr schwach ausgeführt, hört man unter Umständen gar keinen Ton, spürt aber leicht das Trommelfell beim Auftreffen.

Gemeinsames Musizieren macht Spaß. Was sich innerhalb der therapeutischen Arbeit sehr positiv auf die Motivation auswirkt. Nutzt man das instrumentale Spiel für funktionales Training, so hält der Patient / die Patientin diese Bewegung wesentlich länger durch (und führt sie qualitativ besser aus), als das ohne musikalische Begleitung der Fall wäre. Das haben wissenschaftliche Studien eindrücklich bewiesen.

Musiktherapie im weiteren Verlauf der Reha

Womit wir beim Einsatz von Musiktherapie in der weiterführenden Rehabilitation angelangt wären:

Mit Hilfe der sogenannten Neurologischen Musiktherapie (NMT) wird die funktionale Therapie von Menschen mit erworbenen Hirnschäden effektiv unterstützt. Musik und Rhythmus regt das gesamte Gehirn an und versetzt den Köper in die Bereitschaft zu (erhöhter) motorischer Aktivität. Gleichzeitig bietet ein klarer Rhythmus dem Gehirn die Möglichkeit, Bewegungsabläufe (die ja in der Regel auch rhythmisch ausgeführt werden – wie z.B. das Gehen) besser zu planen und auszuführen.

Im Rahmen der NMT übersetzt man deshalb alltägliche Bewegungsabläufe in musikalisches Spiel, wodurch das funktionale Training nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Qualität verbessert wird.

Mit Hilfe von wissenschaftlich fundierten Methodiken unterstützt die Neurologische Musiktherapie :

- die Verbesserung motorischer Fähigkeiten
z.B. im Rahmen von rhythmisch-auditiver Stimulation beim Gangtraining

- die Verbesserung von Sprach- und Sprechproblemen
z.B. Verbesserung der Atemstromlenkung und der stimmlichen Modulation etc. durch Therapeutisches Singen

- die Verbesserung von kognitiven Fähigkeiten
z.B. Förderung der Aufmerksamkeitsleistungen, Handlungsplanung etc. im Rahmen von musikalischem Aufmerksamkeitstraining

Natürlich maßt sich die NMT nicht an, funktionales Training völlig losgelöst von den anderen Therapiebereichen durchführen zu können. Vielmehr ist für eine effektive Behandlung mit NMT eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit der an der Rehabilitation beteiligten Therapiebereiche (Ergotherapie , Logopädie , Neuropsychologie und Physiotherapie ) notwendig, wodurch sehr nachhaltige Therapieerfolge erzielt werden können.

Neben all den Vorzügen des Einsatzes der NMT in der Rehabilitation von Menschen mit erworbenen Hirnschäden darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Musiktherapie darüber hinaus einen wertvollen Gegenpol zum rein funktionalen Training innerhalb des Rehaalltages bietet.

Binnen eines Sekundenbruchteils gehen bei einer Hirnschädigung bislang selbstverständlich genutzte Fähigkeiten verloren, die im Rahmen der Rehabilitation mühevoll wieder neu erlernt werden müssen. Die damit einhergehenden Auswirkungen auf die psychische Befindlichkeit können mit Hilfe der Musiktherapie aufgefangen und die Krankheitsverarbeitung hilfreich unterstützt werden.

Zum Beispiel dient die Musik beim Verlust der Sprache als nonverbales Ausdrucksmittel. Trauer oder Wut lassen sich in therapeutischen Improvisationen musikalisch darstellen und ausagieren. Und nicht zuletzt stellt die Musik und das Musizieren für viele Patientinnen und Patienten eine kreative Ressource dar, die den Genesungsprozess positiv unterstützen und die Lebensqualität verbessern kann.

Leider ist die Musiktherapie – zumal die Neurologische Musiktherapie – nur selten Bestandteil des Therapiekonzeptes Neurologischer Rehabilitationskliniken.

In der ambulanten Versorgung von Neurologiepatientinnen und –patienten werden die Kosten für Musiktherapie so gut wie gar nicht durch die Kostenträger übernommen.


verfasst für tettricks von Thomas Paul Schepansky, Diplom Musiktherapeut, NMT (©2010)
studierte an der FH Heidelberg Musiktherapie und arbeitet seit 2002 in der (Früh-) Rehabilitation schwer hirnverletzter Patientinnen und Patienten (von 2002 bis 2004 im Vivantes Klinikum, Berlin-Spandau, seit 2004 im Neurologischen Rehabilitationszentrum für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene der Klinik Bavaria, in Kreischa bei Dresden).