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Vermischtes

Das Problem mit der Inspiration

(Veröffentlicht am 8. Juni 2020 auf https://raul.de von Raul Krauthausen)

Oft ziehe ich mit Vorträgen über Inklusion durchs Land. Da stellt sich schon die Frage, ob ich damit ungewollt Klischees verteile. Was macht also gutes Reden aus? Hier ein Auslotungsversuch.

Als Handlungsreisender in Sachen Inklusion mache ich oft eine Alltagserfahrung: Bei einem Vortrag rolle ich auf die Bühne und sehe vor mir Leute, von denen Menschen mit Behinderung wissen, dass sie nur wenig über uns wissen. Das ist nicht naseweis oder arrogant, sondern schlicht so. Daher reden wir ja miteinander. Wo aber Wissen fehlt, entstehen Luftschlösser. Aus denen heraus reden dann Menschen ohne Behinderung über uns – und dann sind wir schnell beim leidigen Patronisieren.

Als Redner kann ich dann diese Vorstellungen bestätigen oder Zweifel an ihnen säen. Ich kann jedenfalls leicht etwas falsch machen, oder um es mit Facebook zu sagen: Es ist kompliziert.

In Zeiten von Corona bin ich viel darüber ins Grübeln gekommen, das mit den Vorträgen ist nun ja auch weniger geworden. Dabei bin ich auf einen Blogbeitrag gestoßen, den ich teilen möchte. Gary Karp beschreibt darin die nicht wenigen „motivational speakers“, die erfolgreich über ihr Leben mit Behinderung sprechen – die aber an den bestehenden Klischeebildern kaum rütteln. Denn bei den Zuhörern kommt oft der Eindruck zustande, dass die Behinderung den Ausgangspunkt für eine wundersame Wandlung darstellt, für eine Story wie Phönix aus der Asche oder eben eine Saga, wie die Behinderung überwunden wurde.

Meiner Meinung nach aber sind nicht Behinderungen zu überwinden, sondern die behindernden Umstände von außen, die auf Behinderungen antworten.

Ich fühle diese Blicke, wenn ich auf eine Bühne fahre. Eine Herzlichkeit im Publikum, die mich anrührt, auch Neugierde – aber ebenfalls ein Kribbeln unter Zuschauern, die es schön finden sich betroffen zu fühlen. Eine Gefühlsduselei liegt zuweilen in der Luft. Betroffen indes sollte man, eben, von den Umständen sein, nicht von einer Behinderung.

Deshalb ist es für mich da oben ein komisches Gefühl. „Der hat es geschafft“, lese ich in manchen Augen. Und es stimmt ja auch zum Teil: Ich habe geschafft, dass ich nicht in einer Werkstatt Kugelschreiber zusammenstecke. Hätte mir gut passieren können. Daher habe ich früher bevorzugt, über meine eigene Behinderung nicht zu erzählen, sondern gleich die Umstände anzugehen.

Damit aber verpasse ich eine Chance, über die Gary Karp auch schreibt, nämlich wie sinnvoll es ist, Zuhörer zum Teil der eigenen Reise zu machen. Ich habe schließlich nichts dagegen, ein weiteres Mal eingeladen zu werden; es geht schon weniger um die Befriedigung meines Egos als um die Sache – und das ist die Inklusion, die Verwirklichung von Menschenrechten. Daher denke ich, dass Beides geht: Von eigenen Erfahrungen erzählen und gleichzeitig die Zweifel säen, welche Klischees annagen. Immerhin gewann ein Politiker einmal eine wichtige Wahl, als er den Slogan brachte: „It’s the economy, stupid!“ Bill Clinton wandte sich damit im Jahr 1992 an die Arbeiter als potenzielle Wähler – und berührte einen Kern. Eine Struktur. Und weil die oft für Menschen mit Behinderung schlechte Bedingungen schafft, müssen wir über sie reden.

Es ist also durchaus okay, wenn wir andere Menschen inspirieren – aber mit der Struktur im Hinterkopf. Geht es nur ums Anglotzen von uns als Objekte, die ihre eigene Misere überwanden, ist man schnell bei dem angelangt, was Stella Young Inspirationsporno nannte. Dabei können wir viel mehr. Gary Karp hat es notiert: Menschen mit Behinderung können viel über Anpassungsfähigkeiten erzählen. Sie wissen auch, was es heißt, sich zu akzeptieren, wie man ist. Sie versuchen ferner Probleme zu lösen, indem sie ihre Unabhängigkeit nicht aus der Sicht verlieren. Und sie kämpfen für das Recht auf ein Leben, von dem sie wissen, dass es möglich ist.

Wenn das keine Inspiration für alle ist!

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Mein Tod. Meine Entscheidung?

Hilfe zum Suizid – das wünschen sich einige Schwerstkranke, die ihr Leid nicht mehr ertragen können. Doch der §217 stellte die „geschäftsmäßige“ Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Bis zu drei Jahre Haft drohten. Ärzte, Schwerstkranke und Sterbehilfevereine hatten in Karlsruhe Beschwerde eingereicht. Sie sahen sich durch den Sterbehilfe-Paragrafen in ihren Grundrechten eingeschränkt, in ihrer Gewissens- und Berufsfreiheit verletzt. Am Aschermittwoch, 26.2.2020, hat das Bundesverfassungsgericht das lang erwartete Urteil zu dem umstrittenen Paragraphen gefällt. Das sehr detailliert begründete Urteil des Bundesverfassungsgericht, gab den Beschwerdeführern Recht.

"Mein Tod. Meine Entscheidung?" ist eine Dokumentation vom RBB Fernsehen in der Reihe "Unser Leben" vom 06.07.2023 und ist noch bis zum 06.07.2024 in der ARD Mediathek verfügbar. Hier geht es direkt zur Dokumentation! (Dauer 30 Min.)